Die Summe der Teile / 7 x 49 qcm Leipzig

Denkzeit-Stipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen

Ausgehend von der Aristotelesschen These „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ wollte ich Orte mittels Pflanzen im städtischen Gefüge von Leipzig auf Basis von Naturselbstdrucken oder Collagrafien untersuchen.

Diese Projektidee hat sich prozessual in der Umsetzung dahin gehend modifiziert, als dass die Orte und ihre visuelle Erscheinung (z.B. Graffitis oder Gebäudestrukturen) stärker in den Vordergrund getreten sind.

Zusätzlich ist aus der geplanten Koppelung mit Textbruchstücken eine Recherche nach Graffitis an den jeweiligen Orten entstanden, die in die Umsetzung mit einbezogen wurde.

Zu jedem Ort ist ebenso ein Gedicht von mir verfasst worden, das meine subjektive Reduktion oder Essenz der Orte in Textbilder formt. Diese Gedichte sind jeweils auf die Grafiken collagiert worden und wichtiger Bestandteil der Projektidee.

Zunächst wurden von mir siebenmal an verschiedenen Standorten eine kleine Fläche von 7×7 Zentimetern im Quadrat ausgewählt und diese als Referenzfläche für einen Stadtteil oder Standort pflanzensoziologisch untersucht. Dieser Pflanzengemeinschaft wurden Exemplare entnommen und in einer Pflanzenpresse gepresst. In weiteren Arbeitsschritten wurden die Pflanzen dann als Druckvorlagen für Naturselbstdrucke aufgearbeitet und auf Papier gedruckt. Ebenso entscheidend für die Referenz der Fläche waren Graffitis, die in der Nachbarschaft zu den Pflanzen gefunden wurden. Diese wurden dokumentiert, gezeichnet und auf die Drucke aufgebracht. Danach wurden ortsspezifische Erscheinungsmerkmale wie Gebäudeteile, Bauwerke oder markante Strukturen an den Orten von mir mittels Skizzen ermittelt. Die Surrogate dieser Skizzenarbeit wurden schließlich mittels Gouachfarben auf die Drucke gemalt.

Somit entstanden sieben Ortsportraits die ausgehend von einer kleinen Teilfläche (7x7cm) mit Pflanzen und flankierenden (Teil-)stücken der Umgebung eine Aussage über das Ganze machen wollen.

Sieben mal rücken unscheinbare, fast bedeutungslose Pflanzen in den Vordergrund und vermischen sich mit Graffitis als wären sie einander gleich gestellt. Dazu mischen sich Dinge wie Lampenmasten, Gasverteilerkasten, banale Gebäude-Kubaturen oder eine Parkbank. Diese scheinbar unbedeutenden Details bilden den Ausgangspunkt für eine poetologische Erkundung, die an genau dieser Stelle gestartet wird. Sie verbindet Fragen nach den verschwundenen Brachflächen in der Stadt, ihren Insekten, ihren Pflanzen, ihren schattenhaften Bewohnern oder auch Gefühlen mit seltsam reduzierten Architekturen oder Architekturausschnitten und verbindet es mit den kämpferischen Zeichen von Graffitis und der kraftvollen Poesie zwischen den Worten in Gedichten. Nicht der Mensch erscheint auf den Bildern, sondern sein Versuch die Natur oder die Welt zu ordnen, stetig unterbrochen und durcheinandergewirbelt vom Leben selbst.

Die Gedichte zu den Orten ergänzen und erweitern diese Sichtweise enorm: Widerhaken von Samen, pissende Hunde oder Versprechen die in der Luft lagen bilden den Rahmen der Gesellschaft, die diese Ortsportraits beleben. Ein Masterplan der rechtgläubigen Abweichung und Unwucht tut sich auf, der die Teile ergreift und damit eine neue Landkarte der Stadt erschafft, die niemals den Anspruch erheben kann objektiv oder nützlich zu sein. Vielmehr ist sie genau das Gegenteil und erhebt damit den Anspruch mehr als die Summe der Teile zu sein.

Die Arbeit wurde ermöglicht durch die Förderung der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen im Rahmen des Denkzeit-Stipendiums 2020.