Labkrautengel

Natur ist selbstverständlich und unverstanden. Alles ist anders als der Mensch, aber nicht einmal der Mensch versteht den Menschen. Daher kann Natur auch Engel sein, tröstend oder vernichtend, jedenfalls groß.

Mein Werk thematisiert das Verhältnis zwischen Menschen zur Natur. Er arbeitet mit Pflanzen und Erden, für ihn direkter Zugang zur Natur, Botenstoff des Verstehens und dennoch nur subjektives Abbild, bloße Oberfläche.

Wir leben in einer Zeit, die Engel bedarf. Es mangelt offenbar an einem Verständnis und einer Achtung der Natur und des Menschseins. 

Engel sind Boten. Sie kommunizieren zwischen Welten, die für die Lebenden getrennt sind. Sie sind keine Götter. Engel stehen oft an den Abgründen des Menschseins. Sie kennen Flucht und Vertreibung, Leid und Tod und sie können auch Beschützer und Töster sein. Aber es gibt auch gefallenen Engel.

Engel haben kein Geschlecht. 

(Reinhard Krehl)

Ewa Meister (Kuratorin) über die Ausstellung

Reinhard Krehl studierte Spaziergangswissenschaft. Seit jeher setzt er sich intensiv mit der Natur, insbesondere mit Pflanzen auseinander. 

In seiner Kunst und Poesie hinterfragt er die Ordnungssysteme, die nicht nur in der Kategorisierung von Pflanzen und Tieren, sondern auch in unserer Gesellschaft präsent sind. Dabei möchte er Aufzeigen, dass die Natur stetig versucht Botschaften an die Menschen zu übermitteln, welche jedoch oft ungehört bleiben.

Die Labkrautengel, ein vergleichsweise neues Element in Krehls Schaffen, treten als nicht-binäre Wesen auf, die außerhalb einer Geschlechterkategorisierung existieren dürfen. Diese Engel, als Nachrichtenüberbringer, verstärken die Botschaften der Natur an uns Menschen. 

Der Engel ist uns auch aus Walter Benjamins „Engel der Geschichte“ bekannt, inspiriert durch eine Zeichnung von Paul Klee. Dieser blickt erschrocken auf die Vergangenheit, auf den Trümmerhaufen, den die Menschheit verursacht hat. Reinhard Krehls Engel scheinen aber die Hoffnung noch nicht verloren zu haben, bringen weiterhin gute und schlechte Nachrichten und zeigen auf, dass die Welt durch uns gestaltbar ist. Meistens sind die Botschaften von Engeln traditionell auch mit Handlungsanweisungen verknüpft.

So fordert uns die Ausstellung auf, den Nutzen und die Schönheit der unterschiedlichen Gewächse in der Natur zu erkennen. Wir begegnen beispielsweise der Ulme, einem mächtigen Baum, der in der Mythologie am Eingang zum Totenreich steht und an seinen Ästen die Träume der Verstobenen trägt. Hier gelangen Botschaften von einer Welt in die andere. Auch begegnen wir dem Hasenklee, der als gut genug für Wild-, aber nicht für Nutztiere kategorisiert ist. Vom Künstler jedoch wird er in seiner Anmut und Leichtigkeit aufgegriffen. Auch die Distel hat einen schlechten Ruf als Unkraut, hier wird sie jedoch so dargestellt, wie es wohl ein Insekt tun würde, voller Liebe für die Distel und deren nektargefüllte Blüten. Und wer hätte gedacht, das Erde ein so vielfältiges Farbspektrum aufweisen können? 

Für Reinhard Krehl fungiert die Natur in jeder ihrer Gestalten als Botschafterin. Dabei wird der Künstler selbst zu einem Botschafter, einem Vermittler zwischen Natur und Mensch, der unseren Blick auf die Natur schärft und aufzeigt was wir von ihr lernen können, dass wir beispielsweise unsere Ordnungssysteme überdenken könnten. Vor allem aber, dass wir unsere Umwelt wieder mehr schätzen und gut mit ihr umgehen sollten, und das gilt für den Umgang mit Pflanzen, Tieren und Menschen gleichermaßen.